Versiegelte Unterwelt - eine Buchempfehlung

Versiegelte Unterwelt

14.000 Jahre alte geheimnisvolle, unterirdische Gänge und Räume, Lochsteine á la Stonehenge … Keine Touristenattraktion irgendwo auf der Welt, sondern in der Oststeiermark. Das neue Buch von Heinrich und Ingrid Kusch

„Vorsicht! Und jetzt zieht! Und ihr da hinten, schiebt!“ So tönen die Kommandos von  einem aus unserer Gruppe, um den großen, ca. 200 kg schweren Felsblock doch noch über den steilen Abhang zu seinem ursprünglichen Platz zu befördern. Wir, das sind neun interessierte junge Leute, die sich an einem spontanen archäologischen Feldversuch beteiligen. Das Ganze findet in der Oststeiermark, in der Nähe von Hartberg statt. Nach dem Erscheinen des spannenden Buches „Tore zur Unterwelt“ (2009, Verlag V.F. Sammler) baten wir die Autoren um einen Vortrag plus einer einführenden Exkursion vor Ort. Heinz und Ingrid Kusch willigten gerne ein und ermöglichten einen Tag, der in uns Skepsis, Staunen und Begeisterung zugleich hervorrief.


Das jüngst erschienene Buch „Versiegelte Unterwelt“ ist die logische Fortsetzung eines Themas, das im wahrsten Sinne des Wortes dem Dunkel des Untergrunds entrissen und Schritt für Schritt entwickelt wird. Es geht um unterirdische Anlagen vor allem in der Oststeiermark. Bislang konnten die beiden Autoren 740 derartiger Anlagen identifizieren und untersuchen. Das Gebiet nördlich der Stadt Hartberg und südwestlich des Wechselmassivs besteht, geologisch gesehen, aus alten Sediment- und Tiefengesteinen, durchzogen von nur wenigen Kalkinseln. Die Autoren klassifizieren und benennen generell vier Arten unterirdischer Anlagen aus unterschiedlichen Entstehungszeiten.



  1. Zumindest 440 Felsgänge mit Längen zwischen 6 und 520 m;, bekannt sind in Summe derzeit sieben Kilometer begehbare Gänge.

  2. 28 Bergwerke und Stollen.

  3. Über 250 aus Trockenmauern errichtete unterirdische Räume, Schächte, Kreisgänge und Gangpassagen.

  4. Mehr als 30 in Schotterlagen errichtete Horizontalgänge.


In Ergänzung zu diesen unterirdischen Anlagen wird auch in diesem Band ausführlich das Vorkommen der Megalithsteine besprochen und diskutiert. Diese „großen Steine“ haben eine Gesamtlänge von jeweils bis zu 3 m, die meisten von ihnen weisen in ihrem oberen Drittel ein Loch mit einem Durchmesser zwischen drei bis vier Zentimeter auf. Bereits im ersten Buch wurden diese Steine unter dem bezeichnenden Titel „Ein österreichisches Stonehenge?“ eingehend erörtert. Im aktuell vorliegenden Buch kommen als neue Informationen neben einer ausführlichen Darstellung der Steine an sich sowie der Örtlichkeiten eine in den letzten Jahren durchgeführte Altersbestimmung mittels der TCN-Methode (Terrestrial Comsogenic Nuclides) hinzu. Auf der Grundlage der Auswertungen kommen die Wissenschaftler zum Schluss, dass der im Buch beschriebene und untersuchte Megalith vor ca. 14.000 Jahren bearbeitet und aufgestellt wurde. In Ergänzung dazu konnte mittels dieser Methode das Alter der Abdeckplatte eines Ganges mit ca. 10.000 Jahre bestimmt werden. Ergebnisse, die die untersuchten Anlagen in den Bereich der Mittelsteinzeit (Mesolithikums ) und älter rücken. (Anmerkung: aus heutiger Sicht beginnt die Besiedelung Europas nach dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 11.600 Jahren.)


Die beiden Autoren geben in ihrem Buch diese Forschungsergebnisse wieder, ohne allzu viele Vermutungen über das Vorhandensein möglicher früher Hochkulturen anzustellen. Sie waren wohl selber überrascht von dem hohen Alter dieser Funde. Sehr wohl beschreiben sie die Möglichkeit nacheiszeitlicher, unterirdischer Bergsiedlungen, deren Spuren sie umfassend dokumentieren.
So bleibt auch das große Fragezeichen hinter dem Thema unbeantwortet: Zu welchem Zweck wurden diese großartigen, wegen ihrer Dimension schwer begreifbaren Anlagen errichtet?  Mutmaßungen und Schlussfolgerungen, basierend auf unseren heutigen Vorstellungen antiker Kulturen, müssen gesicherte Kenntnisse ersetzen. Das vorliegende Buch stellt einen weiteren Schritt in der Entdeckung dieser faszinierenden Anlagen dar. War der erste Band noch hauptsächlich eine Darstellung des ersichtlich Unbekannten, so wartet dieses Buch mit einer intensiveren Faktenlage auf, die den wissenschaftlichen Charakter der Untersuchung und Darstellung unterstreicht. Und das ist gut so, denn die Gefahr einer esoterischen Verneblung wäre gerade bei diesem Thema groß. Gekonnt jedoch präsentieren die beiden Autoren ihre wissenschaftlich fundierten Untersuchungsergebnisse, ohne den Lesefluss durch allzu viele strukturelle Darstellungen zu unterbrechen. Bei der Lektüre des Buches fällt die Auswahl zwischen Bild und Text schwer. Für die Lesefaulen unter uns mögen die 240, zum Teil prachtvollen Bilder samt ihren Unterschriften genügen. Allein deren Betrachtung vermittelt dem Leser einen ausgezeichneten Einblick in dieses bislang weitgehend unbekannte Kapitel mitteleuropäischer Geschichte.


Und unsere Gruppe, die sich mit dem einen Stein abmühte? Letztendlich haben wir es doch noch geschafft, ihn mit vereinten Kräften hinauf über einen nicht mehr als zehn Meter hohen Abhang zumindest in die Nähe seines ursprünglichen Platzes zu befördern. Was uns bleibt, ist das Staunen über unfassbare Bauten, deren Wie uns verborgen bleibt, weil wir auch das Warum nicht begreifen. Das große Verdienst der Autoren ist, diese bislang verborgenen Bauwerke an das Tageslicht der Öffentlichkeit gehoben zu haben. Und das auf eine wissenschaftlich fundierte, dabei stets spannend bleibende Art und Weise, die Interesse an mehr weckt. Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht das letzte große Buch von Heinrich und Ingrid Kusch bleibt.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 139, Jänner 2015 des Magazins Abenteuer Philosophie erstveröffentlicht
Autor: DI Dr. Helmut Knoblauch
Copyright: Verlag Filosofica

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